Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
[AZA]
I 497/98 Hm
II. Kammer
Präsident Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger und
nebenamtlicher Richter Walser; Gerichtsschreiber Arnold
Urteil vom 14. März 2000
in Sachen
B.________, 1955, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt S.________,
gegen
IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, Frauenfeld, Beschwerdegegnerin,
und
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden
A.- Die 1955 geborene B.________ war seit ihrer Einreise in die Schweiz im Juni 1971 stets vollzeitig erwerbstätig gewesen, zuletzt als Hilfsarbeiterin ab 1. Februar 1995 im Maschinensaal der Firma X.________. Wegen Knie- und Rückenbeschwerden blieb sie der Arbeitsstelle seit 28. August 1995 fern. Im September 1995 unterzog sie sich einem arthroskopischen Eingriff am linken Knie; vom 20. Mai bis 15. Juni 1996 weilte sie in der Klinik Y.________. Nachdem sie sich am 11. September 1996 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet hatte, klärte die IV-Stelle des Kantons Thurgau die gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse ab. Mit zwei Verfügungen vom 15. April 1998 sprach sie B.________ rückwirkend für die Dauer vom 1. September 1996 bis 30. Juni 1997 eine ganze Invalidenrente (Invaliditätsgrad: 100 %) und ab 1. Juli 1997 eine halbe Invalidenrente (Invaliditätsgrad: 50 %) zu.
B.- Die von B.________ gegen die revisionsweise Herabsetzung der Rente erhobene Beschwerde wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau ab (Entscheid vom 8. September 1998).
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B.________ das Begehren um Zusprechung einer ganzen Rente ab 1. Juli 1997 erneuern; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zwecks ergänzender Abklärungen.
Vorinstanz und IV-Stelle beantragen Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung lässt sich nicht vernehmen.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
2.- Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin ab 1. Juli 1997 weiterhin Anspruch auf eine ganze Rente der Invalidenversicherung hat.
3.- Im angefochtenen Entscheid werden die massgebenden Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 1bis IVG), die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG; vgl. hiezu BGE 104 V 136 Erw. 2a und b) und die Revision der Invalidenrente (Art. 41 IVG) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden, wobei Folgendes zu ergänzen ist: Wird der versicherten Person rückwirkend eine Rente zugesprochen, und zwar stufenweise in dem Sinne, dass ihr - wie hier - gleichzeitig sowohl eine ganze als auch eine diese ablösende halbe Rente gewährt wird, sind die für die Rentenrevision geltenden Bestimmungen (Art. 41 IVG; Art. 88a Abs. 1 IVV) analog anwendbar (BGE 109 V 126 Erw. 4a; AHI 1998 S. 121 Erw. 1b).
4.- a) Die Verwaltung legte der Herabsetzung der ganzen auf eine halbe Invalidenrente eine 50%ige Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit zu Grunde. Sie stellte hiefür auf die Angaben der Dres. med. S.________ und W.________, Klinik T.________ (Bericht vom 1. Juli 1997), ab. Diese attestierten der Beschwerdeführerin im Anschluss an einen längeren Rehabilitationsaufenthalt ab 9. Juni 1997 eine 50%ige Arbeitsfähigkeit für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, worunter auch die zuletzt ausgeführte Arbeit in einer Möbelfabrik falle. Dr. med. U.________, FMH für Rheumatologie und Rehabilitation, hatte in seinem Bericht vom 17. Februar 1997 eine insoweit übereinstimmende Stellungnahme abgegeben, als er die Beschwerdeführerin hinsichtlich leichter Arbeiten zu 50 % arbeitsfähig einstufte, soweit diese in wechselnder Position ausgeübt werden könnten und kein Heben von Gewichten über 10 Kilogramm erforderten. Im Unterschied zu den Ärzten der Klinik T.________ verneinte er eine Arbeitsfähigkeit mit Bezug auf andere als leichte Arbeiten, namentlich auch für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Hilfsarbeiterin, welche zumindest als mittelschwer bis schwer zu bezeichnen sei. Letzteres trifft auf Grund der Angaben des Berufsberaters der IV-Stelle (Bericht vom 14. August 1997) zu, wonach die dort zu verrichtenden Tätigkeiten körperlich sehr anstrengend waren. Dessen ungeachtet steht jedenfalls fest und ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass die Beschwerdeführerin mit Wirkung ab 9. Juni 1997 für körperlich leichte Arbeiten mit Wechselbelastung und ohne Heben von Gewichten über 10 Kilogramm zu 50 % arbeitsfähig ist. Eine weitergehende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit findet in den Akten keine Stütze. Insbesondere findet sich kein Beleg dafür, dass die Beschwerdeführerin leidensbedingt gezwungen ist, ständig herumzugehen und sie nicht in der Lage ist, länger als fünf bis zehn Minuten am gleichen Ort zu verweilen. Mit Blick auf die festgestellte 50%ige Arbeitsfähigkeit in einer leichten, den Leiden angepassten Tätigkeit, kann sodann unter dem Aspekt des ausgeglichenen Arbeitsmarkts davon ausgegangen werden, dass dieser von seiner Struktur her einen Fächer verschiedenartiger Stellen offen hält, bei welchen entsprechende, wechselbelastende Arbeiten ausgeführt werden können. Der Einwand der fehlenden Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit ist damit unbegründet.
b) Nach dem Gesagten ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz hinsichtlich der Rentenherabsetzung von einer 50%igen Arbeitsfähigkeit in einer leichten, leidensangepassten Tätigkeit ausging. Entgegen der Verwaltung ist Art. 88bis IVV vorliegend nicht massgebend. Bei der gleichzeitigen rückwirkenden Zusprechung einer ganzen und der diese ablösenden halbe Rente richtet sich der Zeitpunkt des Wechsels von der ganzen zur halben Rente ausschliesslich nach Art. 88a Abs. 2 IVV (BGE 109 V 125). Der Entscheid, ob eine Verbesserung voraussichtlich längere Zeit dauern wird oder ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat und voraussichtlich weiterhin andauern wird, räumt dem Rechtsanwender einen gewissen Spielraum ein, an welchen sich die auf den 1. Juli 1997 terminierte, vorinstanzlich bestätigte Rentenherabsetzung unter dem Blickwinkel der damals attestierten Arbeitsfähigkeit hält. Indes haben weder Verwaltung noch Vorinstanz die erwerblichen Auswirkungen der festgestellten Restarbeitsfähigkeit korrekt erhoben: Die Festlegung des ohne Invalidität mutmasslich erzielbaren Lohnes (Valideneinkommen) von Fr. 50'700. - im Jahre 1996 blieb zu Recht unbestritten. Für die Bestimmung des trotz Gesundheitsschädigung zumutbarerweise noch realisierbaren Einkommens (Invalideneinkommen) kann demgegenüber bereits deshalb nicht auf die Angaben der Verwaltung abgestellt werden, weil diese zu Unrecht davon ausging, die Beschwerdeführerin sei hinsichtlich der zuletzt ausgeübten Tätigkeit zu 50 % arbeitsfähig. Da die Beschwerdeführerin nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine Erwerbstätigkeit mehr aufgenommen hat, sind für die Bestimmung des Invalideneinkommens nach der Rechtsprechung Tabellenlöhne beizuziehen (BGE 124 V 322 Erw. 3b). Dies hat die Vorinstanz im Gegensatz zur Verwaltung getan. Es ist aber nicht ersichtlich, wie sie den Betrag von Fr. 38'700. - (bei 100 %) ermittelte. Zudem hat ein leidensbedingter Abzug vom Tabellenlohn und nicht vom zuletzt erzielten Einkommen zu erfolgen. Soweit die Vorinstanz schliesslich den Standpunkt vertritt, es sei generell von einer 25%igen Reduktion des Tabellenlohns auszugehen, kann dem ebenfalls nicht beigepflichtet werden (BGE 124 V 322 Erw. 3b; AHI 1998 S. 177 Erw. 3a).
c) Die Sache geht zurück an die Verwaltung, damit diese nach den nötigen Abklärungen und gegebenenfalls in Berücksichtigung der revisionsrechtlichen Grundsätze für die rückwirkende Zusprechung einer befristeten und/oder abgestuften Rente (vgl. Erw. 3 hievor) über den Rentenanspruch ab 1. Juli 1997 neu verfüge.
Die IV-Stelle wird in einem ersten Schritt über die erwerblichen Auswirkungen der 50%igen Arbeitsfähigkeit für leichte Tätigkeiten mit Wechselbelastung und ohne Heben von Gewichten über 10 Kilogramm zu befinden haben und gestützt darauf den Rentenanspruch ab 1. Juli 1997 festsetzen. Sie wird nach der allfälligen Herabsetzung der ganzen auf eine halbe Rente auf den 1. Juli 1997 in einem zweiten Schritt jedenfalls zu prüfen haben, ob sich der Gesundheitszustand seither in rechtserheblicher Weise verschlechtert hat. Neben den Folgen des im Mai 1998 erlittenen Unfalls wird sie auch über die von der Beschwerdeführerin behauptete vorgängige Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit Juli 1997 zu befinden haben. Weder der nachmalige Unfall noch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin im Vorbescheidverfahren - und nicht bereits früher und von sich aus - auf eine entsprechende Verschlechterung hinwies, schliessen aus, dass sich dieser von Juli 1997 bis April 1998 entsprechend entwickelt hatte. Anderslautenden Ausführungen der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Sie lassen unbeachtet, dass ein Zweck des Vorbescheidverfahrens darin liegt, der betroffenen Partei die Möglichkeit einzuräumen, darauf aufmerksam zu machen, der dem vorgesehenen Entscheid zu Grunde gelegte Sachverhalt, worunter auch die gesundheitlichen Verhältnisse fallen, sei unzutreffend oder nicht mehr zutreffend.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 8. September 1998 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 15. April 1998 bezüglich Zusprechung einer halben Rente ab 1. Juli 1997 aufgehoben, und es wird die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen über den Rentenanspruch ab 1. Juli 1997 neu befinde.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Die IV-Stelle des Kantons Thurgau hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vom dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500. - (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
IV. Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
V. Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 14. März 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: