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Original
 
[AZA]
P 53/99 Ca
III. Kammer
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer;
Gerichtsschreiber Widmer
Urteil vom 22. Februar 2000
in Sachen
B.________, 1926, Beschwerdeführerin, vertreten durch
Rechtsanwalt G.________,
gegen
Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau, Ausgleichskasse,
EL-Stelle, St. Gallerstrasse 13, Frauenfeld, Beschwerde-
gegner,
und
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden
A.- Mit Verfügung vom 11. Dezember 1998 lehnte die
EL-Stelle des Kantons Thurgau den Anspruch der 1926 gebo-
renen B.________ auf Ergänzungsleistungen zur Altersrente
mit Wirkung ab 1. September 1998 ab, weil die anrechenbaren
Einnahmen die anerkannten Ausgaben überstiegen. In die Be-
rechnung bezog die EL-Stelle u.a. ein Darlehen in der Höhe
von Fr. 443 000.-, das die Leistungsansprecherin ihrem Sohn
gewährt hatte, als Vermögen und einen Zins aus diesem Dar-
lehen von Fr. 8417.- im Jahr sowie einen Vermögensverzehr
(Fr. 945.-) als Einnahmen mit ein.
B.- Mit Beschwerde liess B.________ zur Hauptsache be-
antragen, die Verfügung sei aufzuheben und die Sache sei zu
neuer Berechnung des Anspruchs an die EL-Stelle zurückzu-
weisen; dabei seien das Darlehen in der Höhe von
Fr. 443 000.- sowie der Zins von Fr. 8417.- einnahmenseitig
ausser Acht zu lassen. Zur Begründung machte sie im Wesent-
lichen geltend, über ihren Sohn sei zwischenzeitlich der
Konkurs eröffnet worden. Das Darlehen im Gesamtbetrag von
Fr. 443 000.- sei unter diesen Umständen vollumfänglich
verloren, weshalb es nicht als Vermögenswert angerechnet
werden könne und die entsprechenden Zinseinnahmen entfie-
len. Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau quali-
fizierte die Darlehensforderung als uneinbringlich, sodass
sie nicht als realisierbarer Vermögenswert angerechnet wer-
den könne. Hingegen sei der Tatbestand des Vermögensver-
zichts erfüllt. In diesem Zusammenhang seien noch zusätzli-
che Abklärungen zu treffen. Dementsprechend hiess die Re-
kurskommission die Beschwerde in dem Sinne gut, dass sie
die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an die EL-
Stelle zurückwies, damit diese ergänzende Abklärungen über
das anrechenbare Verzichtsvermögen vornehme und hernach
unter Berücksichtigung des Vermögensverzichts über den EL-
Anspruch neu verfüge (Entscheid vom 6. August 1999).
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt B.________
das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.
Die EL-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung
(BSV) schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Die kantonale Rekurskommission hat die vorliegend
massgeblichen Bestimmungen über den Anspruch auf Ergän-
zungsleistungen (Art. 2 in Verbindung mit Art. 2a lit. a
ELG), die anerkannten Ausgaben (Art. 3b ELG) und die anre-
chenbaren Einnahmen (Art. 3c ELG), worunter namentlich die
Einkünfte aus Vermögen (lit. b), das teilweise zu den Ein-
nahmen zu zählende Reinvermögen (lit. c) sowie die Anre-
chenbarkeit von Einkünften und Vermögenswerten, auf die
verzichtet worden ist (lit. g), zutreffend dargelegt. Im
angefochtenen Entscheid richtig wiedergegeben ist ferner
die Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Umständen eine
Verzichtshandlung im Sinne von Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG
(bis 31. Dezember 1997 Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG) vorliegt
(AHI 1995 S. 167, 1994 S. 213; ZAK 1991 S. 137 Erw. 2b;
siehe auch BGE 120 V 187). Darauf kann verwiesen werden.
2.- Die Vorinstanz hat richtig festgestellt, dass die
Darlehensforderung der Beschwerdeführerin im Gesamtbetrag
von Fr. 443 000.- schon lange vor der Konkurseröffnung über
ihren Sohn uneinbringlich war und nicht als realisierbarer
Vermögenswert in die EL-Berechnung einbezogen werden kann.
Zu prüfen bleibt, ob entsprechend den Ausführungen der Re-
kurskommission ein Vermögensverzicht anzunehmen ist.
a) Im Falle der Darlehensgewährung hat das Eidgenössi-
sche Versicherungsgericht in Anwendung der für die Annahme
eines Verzichtstatbestandes generell massgebenden Kriterien
(Geldhingabe ohne Rechtspflicht, Fehlen einer adäquaten
Gegenleistung) einen Vermögensverzicht bejaht bei einem
Versicherten, der einem Dritten ein Spieldarlehen im Sinne
von Art. 513 Abs. 2 OR übergab, dem die Klagbarkeit wesens-
gemäss entzogen ist. Damit hatte sich der Darleiher der
Durchsetzbarkeit seiner Rückforderung begeben, was vom
Gericht als Verzicht im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. f ELG
(in der bis Ende 1997 gültig gewesenen Fassung) gewertet
wurde (nicht veröffentlichtes Urteil W. vom 7. Dezember
1995, P 51/95). Weiter hat es im nicht publizierten Urteil
S. vom 30. November 1998, P 17/97, auf welches das BSV ver-
weist, die Gewährung eines grösseren Darlehens ohne Rechts-
pflicht, ohne jede Sicherheit und ohne konkrete Gegenleis-
tung unter den gegebenen Umständen, namentlich mit Rück-
sicht auf die Tatsache, dass der Hauptbetrag zu einem Zeit-
punkt ausgehändigt wurde, als der Rückzahlungstermin für
den ersten Teil des Darlehens bereits verflossen war, als
reines Vabanque-Spiel bezeichnet und als Verzichtshandlung
qualifiziert.
b) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann im vor-
liegenden Fall auf Grund der Akten nicht beurteilt werden,
ob die Gewährung des Darlehens als Verzichtshandlung gemäss
Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG qualifiziert werden muss, da der
Darlehensvertrag nicht vorliegt. Die näheren Umstände hin-
sichtlich des jeweiligen Zeitpunktes der Geldübergabe und
einer allfälligen Rückzahlung der in mehreren Teilbeträgen
ausbezahlten Summe sowie die Höhe des zwischen den Ver-
tragsparteien vereinbarten Zinses sind nicht bekannt. Da
die Darlehensgewährung an den Sohn für sich allein betrach-
tet den Tatbestand des Vermögensverzichts jedenfalls nicht
erfüllt, zumal die Darlehenssumme von Gesetzes wegen zu-
rückbezahlt werden muss (Art. 312 OR) und im vorliegenden
Fall offenbar ein Zins vereinbart wurde, wie aus den aufge-
legten Steuererklärungen ersichtlich ist, können nur die
Modalitäten der Darlehensgewährung Aufschluss darüber ge-
ben, ob die Beschwerdeführerin den Tatbestand des Vermö-
gensverzichts erfüllt hat. Die EL-Stelle, an welche die
Vorinstanz die Sache zu ergänzenden Abklärungen hinsicht-
lich des Zeitpunkts der Verzichtshandlung und der Höhe des
Verzichtsvermögens zurückgewiesen hat, wird daher in erster
Linie den Darlehensvertrag beizuziehen haben und, wenn eine
schriftliche Vereinbarung fehlt, die Beteiligten zur münd-
lich getroffenen Übereinkunft befragen. Dabei wird auch zu
prüfen sein, ob die Beschwerdeführerin unter den gegebenen
Umständen von Anfang an damit rechnen musste, dass ihr Sohn
nicht in der Lage sein würde, die geborgte Summe zurückzu-
zahlen; denn diesfalls müsste von einem Verzicht auf die
Rückforderung ausgegangen werden. Gestützt auf die Ergeb-
nisse der Aktenergänzung, namentlich auch zur Frage der
adäquaten Gegenleistung, wird die EL-Stelle auf Grund der
gesamten Umstände zu beurteilen haben, ob - und gegebenen-
falls in welchem Umfang - die Darlehensgewährung einen Ver-
mögensverzicht darstellt. Hernach wird sie über den EL-An-
spruch neu verfügen.
c) Die Rekurskommission hat ferner gestützt auf Bank-
belege die Frage, ob die Beschwerdeführerin die auf ihrer
Liegenschaft lastende Hypothekarschuld auf Ende August 1997
um Fr. 150 000.- auf Fr. 450 000.- erhöht und dadurch einen
Verzichtstatbestand erfüllt habe, als abklärungsbedürftig
erachtet. Aus den letztinstanzlich eingereichten Steuerer-
klärungen 1995/96 und 1997/98 geht indessen hervor, dass
die Grundpfandschulden am 1. Januar 1995 bereits
Fr. 400 000.- und am 1. Januar 1997 Fr. 450 000.- betrugen.
Es kann als erstellt gelten, dass die Beschwerdeführerin
die fraglichen Hypothekardarlehen vollumfänglich in Form
von Privatdarlehen ihrem Sohn zukommen liess, da die Höhe
der jeweiligen Hypothekarschulden mit der Höhe der ihrem
Sohn gewährten Darlehen übereinstimmt. In dieser Hinsicht
erübrigen sich somit weitere Abklärungen.
3.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Im Hin-
blick darauf, dass mit dem vorliegenden Urteil der Gegen-
stand der von der EL-Stelle durchzuführenden Abklärungen
auf die Frage ausgedehnt wird, ob überhaupt Verzichtsver-
mögen anzunehmen ist, erscheint es gerechtfertigt, der
Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 135 in Verbindung mit
Art. 159 Abs. 3 OG eine reduzierte Parteientschädigung zu-
zusprechen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der
Erwägungen abgewiesen.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Die EL-Stelle des Kantons Thurgau hat der Beschwerde-
führerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von
Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezah-
len.
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurs-
kommission des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 22. Februar 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: