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Zitiert durch:
BGE 147 I 194 - Konzernverantwortungsinitiative
BGE 121 I 138 - Landsgemeinde Ausserrhoden


Zitiert selbst:
BGE 116 Ia 359 - Theresa Rohner
BGE 113 Ia 46 - Zwei Steuerinitiativen


Regeste
Sachverhalt
A.
Auszug aus den Erwägungen:
Erwägung 1
1.- Gegenstand des angefochtenen Entscheids bildet die Frage, ob  ...
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: DFR-Server, A. Tschentscher
 
37. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
vom 15. Oktober 1992
 
i.S. X. gegen Gemeinde Marthalen und Regierungsrat des Kantons Zürich
 
(staatsrechtliche Beschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 85 lit. a und Art. 89 OG; Fristwahrung bei der Anfechtung von Vorbereitungshandlungen zu Wahlen oder Abstimmungen.
 
Stimmrechtsbeschwerden wegen Mängeln bei der Vorbereitung von Wahlen und Abstimmungen müssen nur dann sofort im Anschluss an die entsprechende Anordnung erhoben werden, wenn mangels zur Verfügung stehender kantonaler Rechtsmittel direkt das Bundesgericht angerufen wird. Beurteilt die letzte kantonale Instanz auch Mängel von Vorbereitungshandlungen, die nicht sofort im Anschluss an die entsprechenden Anordnungen geltend gemacht wurden, so können diese auch noch mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen diesen Entscheid gerügt werden (E. 1; Präzisierung der Rechtsprechung).
 
 
BGE 118 Ia 271 (271)Sachverhalt
 
A.
 
Die "Zürcher Planungsgruppe Weinland" (ZPW) ist ein Zweckverband der Gemeinden des Zürcher Weinlands. Sie erfüllt Aufgaben im Rahmen der regionalen Richtplanung. Im Frühjahr 1990 waren in der Gemeinde Marthalen die drei Delegierten in der ZPW für die Wahlperiode 1990-1994 zu wählen. Der Gemeinderat Marthalen entschied am 12. März 1990, dieses Wahlgeschäft der Gemeindeversammlung vom 11. Mai 1990 vorzulegen, und liess eineBGE 118 Ia 271 (271) BGE 118 Ia 271 (272)entsprechende Publikation in den amtlichen Anschlagkästen der Gemeinde anbringen. Er gab darin ebenfalls bekannt, dass sich die bisherigen Delegierten A. und B. einer Wiederwahl stellten, während der Delegierte des Gemeinderats wegen des Rücktritts von C. neu bestellt werden müsse. Der Gemeinderat werde einen Wahlvorschlag unterbreiten. Zugleich wurde erwähnt, dass A. wiederum für den Vorstand des ZPW kandidieren und dass er für den Fall seiner Wahl in den Vorstand als Delegierter der Gemeinde Marthalen ausscheiden werde. Für diesen Fall stelle sich D. erneut als Ersatzmann zur Verfügung. Schliesslich erfolgte ein Hinweis darauf, dass weitere Wahlvorschläge, die bis zum 6. April 1990 beim Gemeinderat Marthalen eingingen, zusammen mit den bereits genannten Namen der bisherigen Amtsträger und dem Kandidaten des Gemeinderats in der Weisung an die Gemeindeversammlung aufgeführt würden. Innert Frist wurden keine weiteren Wahlvorschläge eingereicht. Die Weisung vom 3. Mai 1990 an die Gemeindeversammlung vom 11. Mai 1990 stimmte daher inhaltlich mit der Publikation vom 12. März 1990 überein. Zusätzlich wurde E. als Vertreter des Gemeinderats zur Wahl in die ZPW vorgeschlagen. Wie bereits in der Wahlpublikation stand auch in der Weisung, dass an der Gemeindeversammlung weitere Wahlvorschläge eingebracht werden könnten. Die Gemeindeversammlung von Marthalen wählte am 11. Mai 1990 A., B. und E. als Delegierte der Gemeinde Marthalen in der ZPW sowie D. als Ersatzdelegierten. X. hatte der Gemeindeversammlung F. zur Wahl vorgeschlagen. Auf ihn entfielen aber nur vereinzelte Stimmen. A. wurde am 27. Juni 1990 erneut in den Vorstand der ZPW gewählt und schied damit als Delegierter der Gemeinde Marthalen aus.
X. reichte gegen den Wahlbeschluss der Gemeindeversammlung Marthalen eine Beschwerde beim Bezirksrat Andelfingen ein, mit welcher er das Vorgehen des Gemeinderates Marthalen bei der Vorbereitung der Wahl der Gemeindedelegierten rügte. Der Bezirksrat wies sein Rechtsmittel am 19. Juni 1990 ab. Der Regierungsrat des Kantons Zürich wies am 4. März 1991 eine Beschwerde gegen den Entscheid des Bezirksrats Andelfingen ebenfalls ab.
X. hat gegen den Entscheid des Regierungsrats vom 4. März 1992 eine staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und macht eine Verletzung der politischen Rechte gemäss Art. 85 lit. a OG geltend. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.BGE 118 Ia 271 (272)
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 1
 
Der Beschwerdeführer erhebt in seiner Stimmrechtsbeschwerde zwei Vorwürfe. Einerseits hält er es für unzulässig, dass der Gemeinderat Marthalen in der Wahlanordnung vom 12. März 1990 und der Weisung an die Gemeindeversammlung vom 3. Mai 1990 die Namen von Kandidaten für die Wahl der Delegierten in die ZPW genannt habe. Wahlvorschläge hätten nach seiner Ansicht gemäss § 68 Ziff. 1 des Gesetzes über die Wahlen und Abstimmungen vom 4. September 1983 (WG) nur an der Gemeindeversammlung vom 11. Mai 1990 selber gemacht werden dürfen. Anderseits beanstandet er die Wahl von D. als Ersatzdelegierten durch die gleiche Gemeindeversammlung.
Die beiden vom Beschwerdeführer kritisierten Punkte finden ihre Grundlage in der Wahlanordnung des Gemeinderats vom 12. März 1990. Diese wurde durch Anschlag an den dafür vorgesehenen OrtenBGE 118 Ia 271 (273) BGE 118 Ia 271 (274)öffentlich bekanntgemacht. Die in der Folge gegenüber der Delegiertenwahl erhobenen Rügen sind nichts anderes als eine Konsequenz aus der Wahlanordnung vom 12. März 1990. Der Beschwerdeführer hat gleichwohl nur die Wahl selber und nicht bereits die Wahlanordnung, welche als Vorbereitungshandlung anzusehen ist (vgl. BGE 113 Ia 49 f.), angefochten. Es fragt sich, ob die erst gegenüber dem Wahlergebnis erhobene Beschwerde nicht verspätet sei.
Diese Praxis bezweckt, dass Mängel möglichst noch vor der Wahl oder Abstimmung behoben werden können und diese nicht wiederholt zu werden braucht. Eine Pflicht zur sofortigen Anfechtung der beanstandeten Vorbereitungshandlung rechtfertigt sich zudem deshalb, weil es mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren wäre, wenn ein Beschwerdeführer wegen eines Mangels, den er zunächst widerspruchslos hingenommen hat, hinterher die Wahl oder Abstimmung anfechten könnte, wenn deren Ergebnis seinen Erwartungen nicht entspricht (BGE 110 Ia 179 f.; vgl. auch CHRISTOPH HILLER, Die Stimmrechtsbeschwerde, Diss. Zürich, 1990, S. 323 f.).
In seiner veröffentlichten Praxis hat das Bundesgericht zu dieser Frage noch nie Stellung genommen. Es finden sich in den publizierten Entscheiden lediglich wenige Hinweise zu diesem Problemkreis (vgl. die Zusammenstellung bei HILLER, a.a.O., S. 332 f.). In der nicht veröffentlichten Erwägung 1b von BGE 112 Ia 233 ff. ging das Bundesgericht ohne nähere Begründung davon aus, dass die zu Art. 89 Abs. 1 OG entwickelten Grundsätze auch mit Bezug auf das kantonale Verfahren gelten würden. Es betrachtete daher eine Stimmrechtsbeschwerde gegen einen Wahlbeschluss als verspätet, weil die damit gerügte Verkürzung des Wahlrechts eine Konsequenz einer vorangegangenen Wahlanordnung gewesen war, der Beschwerdeführer diese aber nicht angefochten hatte. Es mass dabei der Tatsache keine entscheidende Bedeutung zu, dass das kantonale Recht dem Bürger ein Rechtsmittel zur Verfügung stellte, mit dem alle Mängel noch im Anschluss an das Wahlergebnis geltend gemacht werden konnten. Die - soweit ersichtlich - einzige Äusserung in der Literatur nimmt im gleichen Sinne Stellung (HILLER, a.a.O., S. 334).
Die Gründe, aus denen die Pflicht zur sofortigen Anfechtung von Vorbereitungshandlungen zu Wahlen oder Abstimmungen mit Stimmrechtsbeschwerde beim Bundesgericht folgt, können an sich auch für das kantonale Rechtsmittelverfahren Geltung beanspruchen. Doch sind die Kantone gestützt auf ihre Organisationsautonomie frei, anderen Erwägungen - wie namentlich einem leicht zugänglichen Rechtsschutz im Bereich der politischen Rechte - einen höheren Stellenwert zuzumessen. Soweit kantonale Instanzen im Anschluss an das Wahl- oder Abstimmungsergebnis auch noch Mängel von Vorbereitungshandlungen überprüfen, spielt auch keine Rolle, dass der Wahlakt im Blick auf die vorangegangene Vorbereitungshandlung unter Umständen lediglich einen Vollzugsakt darstellt. Streitgegenstand vor der letzten kantonalen Instanz bilden in einem solchen Fall nämlich alle Mängel im Zusammenhang mit der angefochtenen Wahl oder Abstimmung. Wie das Bundesgericht bereits im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Verletzung von Art. 58 BV rechtzeitig gerügt worden sei, entschieden hat, ist auf eine staatsrechtlicheBGE 118 Ia 271 (275) BGE 118 Ia 271 (276)Beschwerde gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid einzutreten, der Rügen materiell behandelt, die nach den für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren geltenden Grundsätzen verspätet wären (BGE 117 Ia 159 E. 1b).
Aus diesen Erwägungen rechtfertigt es sich, die Rechtsprechung, nach der Stimmrechtsbeschwerden wegen Mängeln bei der Vorbereitung von Wahlen oder Abstimmungen sofort im Anschluss an die entsprechende Anordnung zu erheben sind, nur dann anzuwenden, wenn mangels zur Verfügung stehender kantonaler Rechtsmittel direkt das Bundesgericht angerufen wird. Wenn dagegen zunächst der kantonale Rechtsmittelzug auszuschöpfen ist (vgl. Art. 86 Abs. 1 OG), kann eine Stimmrechtsbeschwerde stets innert dreissig Tagen gegen den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid erhoben werden. In diesem Fall spielt es für die Zulässigkeit der Beschwerdeführung vor dem Bundesgericht keine Rolle, dass der Beschwerdeführer Mängel bei der Vorbereitung von Wahlen oder Abstimmungen nicht sofort geltend macht. Soweit die letzte kantonale Instanz entsprechende Rügen trotzdem materiell prüft, können diese im Anschluss an deren Entscheid mit Stimmrechtsbeschwerde auch vor Bundesgericht erhoben werden.
Im vorliegenden Fall hat der Regierungsrat die vom Beschwerdeführer beanstandeten Unregelmässigkeiten bei der Vorbereitung der Delegiertenwahl materiell beurteilt. Dass der Beschwerdeführer mit der Wahlbeschwerde gemäss § 123 lit. a WG bereits die Wahlanordnung vom 12. März 1990 als Vorbereitungshandlung hätte anfechten können (vgl. ZBl 83/1982 346 f.), ist nach der dargelegten Präzisierung der Rechtsprechung nicht entscheidend. Auf die Stimmrechtsbeschwerde ist einzutreten.BGE 118 Ia 271 (276)